Der Erblasser kann durch Verfügungen von Todes wegen wie etwa Testamente und Erbverträge bestimmen, wer nach seinem Tod wieviel von seinem Nachlass bekommen soll. Allerdings ist die Testierfreiheit des Erblassers nicht unbegrenzt. Sollte der Erblasser die Grenzen seiner Testierfreiheit überschreiten, können die benachteiligten Erben, die durch unser Bürgerliches Gesetzbuch geschützt werden, ihre Pflichtteilsansprüche durch die Pflichtteilsklage geltend machen. Diese Pflichtteilsklage kann durch die Pflichtteilsberechtigten eingebracht werden.

Im türkischen Bürgerlichen Gesetzbuch bezeichnet man als Pflichtteilsberechtigte jene Personen, deren Anteil am Nachlass geschützt ist;  der Mindestanteil am Wert der Verlassenschaft, der der Verfügung des Erblassers entzogen ist, heißt Pflichtteilsquote. Der Teil, der sich nach dem Abzug der Pflichtteile ergibt, und über den der Erblasser nach Belieben verfügen kann, heißt freie Quote. Sollte der Erblasser durch eine Verfügung von Todes wegen eine Anordnung treffen, die gegen das Pflichtteilsrecht in der Türkei verstößt, ist diese Anordnung nicht von selbst ungültig. Der Pflichtteilsberechtigte hat durch Einbringung der Pflichtteilsklage die Ungültigkeit jenes Teils, die den Pflichtteil verletzt, zu begehren. Während bei allen Verfügungen von Todes wegen (Testament und Erbvertrag), die gegen den Pflichtteil verstoßen, eine Pflichtteilsklage möglich ist, sind bei Verfügungen zu Lebzeiten des Erblassers nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen eine Pflichtteilsklage möglich.

Eingebracht werden können Pflichtteilsklagen von Pflichtteilsberechtigten; also von Nachkommen des Erblassers (seine Kinder, Enkel und deren Kinder), dessen Eltern und dessen Ehegatte. Geschwister des Erblassers haben kein Pflichtteilsrecht, sie können somit keine Klage einbringen. Die Pflichtteilsquote der Nachkommen des Erblassers beträgt die Hälfte und die Pflichtteilsquote der Eltern des Erblassers ein Viertel des gesetzlichen Erbteils. Die Pflichtteilsquote des Ehegatten hängt davon ab, mit welcher Erbordnung er konkurriert. Sollte der überlebende Ehegatte mit den Nachkommen und Eltern des Erblassers erbberechtigt sein, beträgt seine Pflichtteilsquote das Ganze und in übrigen Fällen drei Viertel dessen, was er als gesetzlicher Erbe bekommen hätte.

Beklagte bei der Pflichtteilsklage sind jene Personen, denen aufgrund des Überschreitens der Testierfreiheit durch den Erblasser und der Verletzung des Pflichtteils eine Begünstigung erfolgte sowie Personen, gegen die gesetzlich eine Pflichtteilsklage vorgesehen ist. Diese können sowohl Dritte als auch Erben sein. Sofern der Begünstigte verstorben ist, sind die Beklagten dessen Erben. Die Pflichtteilsklage muss binnen einer Frist von 1 Jahr ab Kenntnis der Verletzung des Pflichtteils jedenfalls binnen einer Frist von 10 Jahren ab Eröffnung der Verfügung von Todes wegen eingebracht werden. Bei den übrigen Verfügungen läuft diese Frist ab dem Zeitpunkt des Todes des Erblassers. Es handelt sich bei diesen Fristen von einem und zehn Jahren um Verfallsfristen und um keine Verjährungsfristen. Sachlich zuständig für die Einklagung des Pflichtteils ist das Landgericht.

Der Pflichtteil kann nach türkischem Recht jederzeit als Einrede erhoben werden. Sollten Pflichtteilsberechtigte die Frist zur Einbringung der Pflichtteilsklage versäumen, können sie jederzeit gegen die ihnen geltend gemachten Forderungen den Pflichtteil als Einrede erheben. Allerdings kann diese Einrede vom Pflichtteilsberechtigten nicht gegen alle Forderungen des Begünstigten erhoben werden. Die Einrede kann nur gegen Ansprüche des Begünstigten, die sich auf die  zum Pflichtteilsrecht gehörenden Gegenstände bzw. Vermögen beziehen, erhoben werden.

Art. 570 türkischen BGB regelt das Verfahren zur Regelung des Pflichtteils nach Einbringung der Pflichtteilsklage. Wenn die Deckung des Pflichtteils nicht ausreicht, erfolgt die Anrechnung zunächst aus Verfügungen von Todes wegen, wenn diese nicht ausreichen aus Geschäften unter Lebenden beginnend von zeitlich jüngeren bis älteren Geschäften. Allerdings werden Verfügungen von Todes wegen zugunsten von juristischen Personen öffentlichen Rechts und öffentlichen Vereinen und Anstalten sowie Verfügungen zu Lebzeiten zuletzt angerechnet.